Wenn man Sie vor zehn Jahren gefragt hätte, was Ihr Beruf ist, wäre die Antwort „Skifahrerin“ oder „Spitzensportlerin“ gewesen. Was antworten Sie heute auf die Frage?
Mein Leben ist sehr vielfältig geworden. Ich bin heute Markenbotschafterin, ich bin ein Stück weit Unternehmerin, ich bin Mama, ich bin eine Frau (lacht). Ich unterstütze meinen Mann Manuel, wo ich kann. Und ich bin eine Person der Öffentlichkeit, eine ehemalige Skifahrerin, als solche wohl auch eine Pensionistin (lacht). Das sage ich aber nicht so gern.
Ich bin heute Markenbotschafterin, ein Stück weit Unternehmerin, Mama und Frau – und als Skifahrerin wohl auch eine Pensionistin. Das sage ich aber nicht so gern.
Kaum eine Frau war im Skisport so populär wie Sie. Sie haben sich danach als Persönlichkeit, als Marke, sehr geschickt aufgebaut und sind heute als Testimonial gefragt: GW Cosmetics, Audi. Wer noch?
Ich habe viele wertvolle, langjährige Partnerschaften wie beispielsweise mit Rauch, die mich schon über weite Teile meiner Karriere begleitet haben. Neu dazugekommen ist Calzedonia, ein spannendes Projekt, wo es mir wichtig ist, die natürliche Weiblichkeit in den Vordergrund zu stellen. Thule war immer schon Begleiter, doch die Partnerschaft hat sich jetzt nach der Karriere noch durch die Familie intensiviert. Und mit Visa habe ich vor einem Jahr eine sehr interessante globale Marke dazubekommen, wo ich auch in Themen wie „payment“ und Innovation viel dazulernen kann.
Gerade im Skisport sind die großen Stars auch Jahrzehnte nach ihrer Karriere noch sehr beliebt, wie man bei Hermann Maier oder Franz Klammer sehen kann. Sind Skifahrer in Österreich besonders privilegiert?
Ich glaube, es liegt an der Sportart, die noch wichtig ist in unserem Land. Skifahren ist neben dem Fußball die Sportart mit dem größten Interesse. Im Skisport ist unsere Kultur zu Hause, das hat eine lange Tradition, und es ist ein Volkssport, wo man eine große Popularität erreichen kann und mit dem sich Menschen identifizieren. Es ist aber darüber hinaus auch immer die Geschichte hinter den Menschen, die fasziniert. Weil die meisten, auch Hermann Maier oder Franz Klammer, kamen aus normalen, einfachen Verhältnissen, sind am Land aufgewachsen, wo vielleicht ein Bauernhof zu Hause war. Wir sind Beispiele für eines: Jeder hat die Chance, in seinem Metier der Beste der Welt zu werden, mit dem, was dahintersteckt. Das ist, glaube ich, das Spannende an unserem Sport.
2013 hat Ihr späterer Ehemann Manuel Veith das ARX-Hotel hier in Schladming übernommen. Ihre aktive Karriere hat 2020 geendet, Sie sind im Hotel aber schon seit 2018 eingebunden. War Ihnen damals schon klar, dass nach Ihrer Karriere im Spitzensport die Hotellerie Ihr zweites Standbein wird?
Das ARX ist ja ein Familienbetrieb, Manuel ist die dritte Generation, die jetzt dieses Haus einfach erweitert und immer verbessert hat. 2018 haben wir unseren neuen Sportshop im Haus eröffnet, wo ich meine und mein Mann seine Expertise aus dem Spitzensport einbringen. Grundsätzlich unterstütze ich das Unternehmen so gut ich kann, bin aber im täglichen Business nicht involviert. Wir haben 2016 geheiratet und obwohl das Hotel Manuel, seine Eltern und Großeltern aufgebaut haben, war für mich selbstverständlich, dass ich ihm hier nach Möglichkeit den Rücken stärke und unterstütze, ich kann ja auch für mich viele Erfahrungen sammeln und mitnehmen.
Im Spitzensport muss man im Moment funktionieren und das Maximum an Leistung abrufen können. Sind das Fähigkeiten, die man auch danach in den Alltag mitnimmt?
Es ist eher das Durchhaltevermögen, das man mitnimmt und einbringt: Ziele zu haben, zu definieren, darauf hinzuarbeiten, konsequent zu sein. Im Skisport ist es wichtig, dass man in zwei Minuten einfach voll da ist, weil eine weitere Minute später ist alles vorbei und du kannst es nicht mehr ändern. Im Unternehmertum ist alles viel langfristiger. Es ist schön, wenn man bei Entscheidungen, wie man den Betrieb aufstellt, noch mal eine Nacht darüber schlafen kann und nicht im Moment Entscheidungen treffen muss. Für uns beide war es anfangs schwierig, nach der Karriere einfach diese Langfristigkeit zu verstehen und zu sagen: Okay, das dauert jetzt einfach. Gerade in der Coronazeit hat man Geduld gebraucht, als wir 2018 mit dem Shop und dem Skiverleih begonnen haben. Zuerst ist der Verkauf sehr gut gelaufen, der Verleih nicht so, weil halt einfach keine Gäste da waren (lacht). Jetzt ist es wieder umgekehrt. Der Spitzensport ist einfach so kurz, da dauert eine Karriere maximal 10, 15 Jahre. Das ist echt nicht lange. Da muss man viel schneller auf alles reagieren, braucht Ergebnisse und Erfolgserlebnisse, damit man weitermacht. Im Unternehmertum braucht man Geduld.
Stellen wir uns einen typischen Februartag vor, es sind Semesterferien, das Hotel ist voll, alle Lifte in Betrieb. Wie schaut so ein typischer Tag in Ihrem Leben aus?
Wir haben einen kleinen Sohn, Henry, der zwei Jahre alt ist. Manuels Eltern wohnen neben dem Hotel, wir auch in unmittelbarer Nähe. Manuels Mutter unterstützt ihn nach wie vor im Tagesgeschäft. Wenn ich jetzt einen typischen Februartag hernehme, dann bin ich zumeist bei Henry und dadurch eigentlich ziemlich eingespannt – die sehr erfüllende, aber auch anstrengende Mutterrolle. Manuel geht früh außer Haus und kommt sehr spät heim. Wir haben insgesamt zehn Mitarbeiter, da ist es wichtig, wie für jeden Unternehmer, das Team zusammenzuhalten und präsent zu sein.
Kommen Gäste auch, weil sie wissen: Das ist das Hotel von Anna Veith?
Natürlich hat sich das immer wieder mal rumgesprochen, aber wir bewerben das nicht. Wir wollen, dass unsere Gäste kommen, weil sie unser Hotel mögen und gerne bei uns Urlaub machen. Ich bin ja auch nicht im Tagesgeschäft tätig, bin also nur hin und wieder im Haus. Wenn ich da bin, schreibe ich aber gerne Autogramme oder mache Selfies mit den Gästen, wenn sie das wollen. Aber ich möchte nicht an der vordersten Front stehen.
Ihr Sohn Henry ist zwei Jahre alt. Ein Kind verändert das Leben, Perspektiven und Wichtigkeiten werden andere. Geht Ihnen trotzdem der Spitzensport ab?
Nur sehr, sehr vereinzelt, weil ich happy bin mit dem, was ich bisher schon in meinem Leben erlebt und erreicht habe. Ich habe dann eben auch meine Verletzungen gehabt und am Ende gemerkt, dass für mich einfach die Zeit reif ist, mit dem Spitzensport aufzuhören.
Die Knieverletzung war der Schlusspunkt, die Motivation zum Schluss wahrscheinlich schwierig?
Genau, gerade für den Spitzensport. Weil da muss man jeden Tag, auch wenn es schmerzt, einfach rausgehen, trainieren, fahren. Das vermisse ich nicht. Ich trainiere nach wie vor gerne und ich hätte auch manchmal gerne mehr Zeit für das Training. Ich gehe entweder laufen oder Rad fahren, beim Radfahren nehme ich den Henry überall hin mit. Das ist voll cool und das gefällt ihm auch. Ich gehe auch sehr gerne in den Fitnessraum und mache Workouts, sehr intensiv, aber viel kürzer als früher, denn so lange Einheiten wie damals würde ich auch gar nicht mehr schaffen. Das waren oft drei bis vier Stunden pro Tag. Was ich heute als Workout mache, habe ich früher zum Aufwärmen gemacht (lacht). Ich habe damals fünf bis sechs Kilo mehr gehabt, das waren Muskeln, die man nicht nur aufbauen, sondern auch erhalten muss.
Im Spitzensport entscheidet das Mentale über Sieg oder Niederlage. Woher haben Sie diesen starken Willen?
Ich glaube, das ist eine familiäre Geschichte. Mir hat der Sport schon als Kind Spaß gemacht, ich habe mich in unserem Ski-Club von Anfang an wohl gefühlt. Ich war sehr ehrgeizig und wollte immer besser werden. Ich kam mit zehn Jahren ins Internat und das hat mir richtig Spaß gemacht. Meine Mutter war natürlich traurig: Wer gibt schon gerne mit zehn „das Kind aus der Hand“? Ich kann sie heute total verstehen und finde es großartig, wenn man das macht, weil man einfach dem Kind so viel Vertrauen schenkt. So wurde ich bereits mit 13 Jahren Schüler-Weltmeisterin und durfte mit dem Team nach Kanada fliegen. Ich war fasziniert von dem Sport und ich habe meinen Traum ausleben können. Ich wollte auch immer die Beste sein. Ich wollte immer gewinnen.
Drei Weltmeistertitel, ein Olympiasieg. Welcher Sieg war der wichtigste für Sie?
Der Olympiasieg war für mich wichtig, weil er mich extrem befreit hat. Er hat es möglich gemacht, dass ich den Gesamtweltcup gewinnen konnte, was ohne den Olympiasieg, glaube ich, nicht passiert wäre. Für mich war klar: Ich habe den Titel in der Tasche, ich kann eigentlich nur noch genießen. So bin ich dann auch Ski gefahren, total befreit, und habe dann sehr gute Rennen abgeliefert.
Lassen Sie Ihre großen Erfolge manchmal Revue passieren? Oder schauen Sie lieber auf die Berge und denken sich: Das ist ein richtig gutes Leben.
Was ich in meiner aktiven Karriere geschafft habe, darüber denke ich heute gar nicht mehr nach, außer wir reden so wie jetzt darüber. Dann denke ich mir schon: Das ist so cool, dass ich das erlebt habe. Ich schätze es wirklich. Und die Erfahrung, wie man an die Spitze kommt und dort bleibt. Das habe ich geliebt und gelebt, und das war wunderschön. Aber wenn wir privat da sind, dann ist das ganz weit weg. Ich habe ein ganz normales Familienleben, das sehr harmonisch ist. Wir können das alles genießen. Es gibt so für alles seine Zeit.
Welche neuen Ziele haben Sie sich gesetzt?
Ich möchte meine Erfahrungen, die ich gemacht habe, weitergeben. Es ist mir total wichtig, das nicht irgendwie abzuschließen und wegzupacken. Ich habe zum Beispiel eine junge Athletin, die in Salzburg lebt, die kenne ich schon, seit sie ein Kind war. Sie ist jetzt im Europacup und ich begleite sie auf ihrem Weg und versuche einfach, meine Erfahrungen mit ihr zu teilen. Mein Ziel ist, dass möglichst viele Menschen von meinen Erfahrungen profitieren können. Sportlich ist das System ja sehr gut aufgestellt, da wird von allen Seiten viel getan. Was fehlt, sind die Vorbereitung auf die Herausforderungen, die als Mensch auf einen zukommen. Ich habe mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die von einem Tag auf den anderen kam, nicht umgehen können. Es fehlen auch heute Programme für mentale Themen, persönliche Entwicklungen oder gesundheitliche Themen, denn als Sportler geht man oft über die Grenzen und weiß gar nicht, dass man sich dabei langfristig nichts Gutes tut. Ich möchte das jungen Athleten künftig vermitteln. Ich merke, dass ich dafür brenne.
Ihr Mann Manuel und Sie kommen beide aus dem Spitzensport. Wie funktioniert es in einer Ehe, wenn beide Alpha-Persönlichkeiten sind?
Ich habe Manuel immer schon sehr bewundert, er hat ja schon 2013 aufgehört. Da hat eigentlich meine erfolgreiche Zeit erst begonnen. Er hat mich immer bedingungslos unterstützt im Sport, weil er einfach selbst auch gewusst hat, wie wichtig es ist. Und ihm hat es, glaube ich, einfach auch gefallen, dass er für mich da sein konnte. Heute habe ich die Rolle übernommen, wo ich in unserem Alltag mehr im Hintergrund bin und für ihn da sein kann. Wir unterstützen uns gegenseitig und das passt, wir sind ein gutes Team. Es gibt keinen, der das Gefühl hat, er müsste wegen dem anderen zurückstecken, weil man es aus Liebe macht.
Was versuchen Sie Ihrem Sohn, dem Henry, mitzugeben?
In die Natur rauszugehen, mit wenig viel zu machen. Er liebt es, Steine in den Bach zu schmeißen. Und er redet jetzt schon vom Wanderngehen. Er liebt Fahrradfahren mit dem Anhänger. Uns ist wichtig, dass er sich bewegt und dass er einfach Spaß hat mit dem, was er macht. Wir sind sicher sehr privilegiert, aber wir möchten ihm eigentlich die Grundwerte des Lebens mitgeben. Wer will man sein und was kann man daraus machen? Und dass man es sich halt auch selbst erarbeiten muss, dass nicht Dinge einfach von vornherein da sind. Man muss etwas aufbauen, damit man etwas kriegt. So sind wir aufgewachsen und das möchten wir ihm gerne auch vermitteln.
Fotos: Roland Unger für OOOM
Zusatzfotos: Armin Walcher