Sie versuchten zu ihm zu gelangen?
Ich schaffte es bis zum Halbstock zwischen 5. und 6. Stockwerk, dann waren die Trümmer so groß, dass ich nicht weiterkam. Im 5. Stock fand ich einen Aufzugschacht. In meiner Verzweiflung dachte ich: Wir haben eine Menge Seile mit, wir klettern einfach den Aufzugsschacht hinab. Doch was ist, wenn es unten nicht weitergeht? Wir kommen nie wieder hoch. Über Funk versuchten wir unsere Position mitzuteilen. Doch in dem Trümmerfeld war es die Nadel im Heuhaufen. Sie konnten uns nicht finden. Überall war Rauch, es brannte, gleich neben uns gab es eine Explosion. Es war das einzige Mal, dass Josephine Harris ihre Fassung verlor. Sie hatte Angst. Ich war sehr stolz auf meine Leute. Sie hatten sie einfach mitgenommen. Sal D’Agostino nahm seine Jacke ab und deckte sie zu. Er sagte: „Solange wir bei dir sind wird nichts passieren. Wir werden dich beschützen.“ Sie hat uns vertraut – das blieb so für den Rest ihres Lebens. Wann immer sie später eine Entscheidung benötigte, hat sie uns gefragt.
Wie lange waren Sie in den Trümmern gefangen?
Vier Stunden. Als Rauch und Staub sich legten, fiel Sonnenschein auf das Stiegenhaus. Eigentlich sollten 106 Stockwerke über uns sein. Doch wir sahen ein Stück des Himmels zwischen all dem Schutt, als wären wir auf der Spitze des World Trade Centers. Alles war zerstört. Wir machten einen Plan, um rauszukommen, schickten einen unserer Leute angeseilt raus. Er konnte Kontakt zu anderen Feuerwehrleuten aufnehmen, die dann zu uns vorstießen. Glenn Rowan von Ladder 43 war der Erste, der es bis zu uns schaffte. Wir stellten ihm Josephine vor und er und seine Leute trugen sie in Sicherheit. Ich fragte die Kollegen über Mike Warchola, der im 12. Stock über uns war, als der Turm zusammenbrach. Er sah mich an und sagte: „Der 12. Stock existiert nicht mehr.“ Ich wartete, bis alle meine Leute gerettet wurden. Zum Schluss waren noch Tommy Falco und ich da. Wir gingen als Letzte.
Wie kamen Sie aus diesem Trümmerfeld raus?
Wir kämpften uns bis zur West Street durch. Überall lag geborstener Stahl, alles war voll Staub, was es gefährlich machte. Dann kamen wir an der West Street an, zehn Meter unter dem früheren Straßenniveau. Meine Jungs kletterten nacheinander durch Seile gesichert hoch. Zum Schluss waren nur mehr Mike Meldrum und ich da. Er sagte: „Captain, ich kann da nicht hochklettern.“ Er hatte keine Kraft mehr. Ich sagte zu Mike: „Siehst du den Hügel? Da sind deine Frau und deine Kinder, die auf dich auf der anderen Seite warten. Kletter das Seil hoch!“ Und er tat es mit letzter Kraft. Wir waren völlig fertig, aber wir lebten. Ich fragte nach dem Kommandoposten. Er war dort, wo früher der Südturm stand, auf einem Tanklöschfahrzeug. Es dauerte, bis ich realisierte, dass wir einige der wenigen waren, die im Nordturm überlebt hatten. Ich sah rauf und dort stand Chief Hayden. Wir sahen uns an und begannen beide vor Freude zu weinen: „Es ist schön dich zu sehen“, sagte der Chief. „Es ist schön am Leben zu sein“, antwortete ich. Tommy Falco und ich wurden schließlich in einen Ambulanzwagen gebracht. Er drehte sich zu mir und fragte: „Captain, wie viele Männer haben wir heute wohl verloren?“ Ich sah mich um auf Ground Zero und antwortete: „Wahrscheinlich ein paar hundert.“ Ich konnte es kaum fassen, dass diese Worte aus meinem Mund kamen. Bis zu diesem Tag waren 12 Leute auf einmal 1966 der größte Verlust des Fire Departments. Es sollten schließlich 343 sein. An diesem Tag suchten Väter nach ihren Söhnen, Brüder nach Verwandten. Viele von ihnen sollten nie mehr nach Hause kommen.
Hätten Sie damals nicht entschieden, im 20. Stockwerk Josephine Harris auf dem Weg nach unten mitzunehmen, würden Sie heute noch leben?
Wahrscheinlich nicht. Sie überlebte durch uns, und wir wahrscheinlich durch sie. Sie fiel im 4. Stock nieder, das sollte jener Ort werden, an dem wir alle überlebten. Ich habe heute noch ein Foto des Stiegenhauses, man glaubt es nicht. Nur zwischen dem 5. und 2. Stock blieb es intakt. Alles darüber und darunter wurde völlig zerstört. Unser Stiegenhaus B war in der Mitte des Turmes, man würde also vermuten, das sei der schlechteste Ort, um zu überleben. Die Stiegenhäuser A und C wurden auf allen Ebenen völlig zerstört.
Wie viele Menschen haben an diesem Tag in den Türmen überlebt?
Insgesamt 22, 13 davon im Nordturm.
Wann konnten Sie Ihre Frau anrufen und ihr sagen, dass Sie leben?
2001 hatte ich noch kein Mobiltelefon. Ich hatte damals einen Neffen, der gerade zur Feuerwehr gekommen war. Er hörte meine Funksprüche mit und rief meine Frau Judy an, um ihr zu sagen, dass er meine Stimme am Funk hören konnte und ich lebe.
Verfolgte sie im Fernsehen was passiert war?
Ja, alle unsere Freunde und Nachbarn, sicher 20, 30 Leute, waren bei uns zu Hause zusammengekommen, sie dachten alle, ich sei tot. Meine Kinder waren in der Schule. Ein Freund holte meinen Sohn von dort ab und fuhr ihn zum Baseball, damit er nicht nach Hause kommt und das alles miterlebt.
In den folgenden Wochen gab es Hunderte Begräbnisse von Kollegen. Wie steht man das alles durch?
Du machst eins nach dem anderen. Die Begräbnisse dauerten fast ein Jahr lang. Viele Familien wollten kein Begräbnis, solange nicht zumindest irgendwelche Überreste ihres Angehörigen gefunden worden waren, andere warteten nicht so lange. Sie bestatteten einen leeren Sarg. Es war eine schwierige Zeit, keiner von uns musste jemals zuvor so etwas durchstehen. An einem Tag hatten wir mal zwölf Begräbnisse, sieben davon waren gute Freunde von mir. Es war schwer auszuwählen, auf welche dieser Begräbnisse man geht.
Ihr Leben hat sich nach 9/11 schlagartig verändert. Wir haben Sie am 3. November 2001 mit Ihrer Frau nach Wien einfliegen lassen, wo Sie Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow bei den World Awards, stellvertretend für alle Feuerwehrleute New Yorks, als „Men Of The Year“ auszeichnete. Paul McCartney hielt die Laudatio. Von den Trümmern des Ground Zero in die festliche Hofburg in Wien – war das surreal für Sie?
Ich war ein ganz gewöhnlicher Feuerwehrmann. Dann rief mich das Fire Department an und bat mich, nach Wien zu fliegen, um den World Award von Präsident Gorbatschow in Empfang zu nehmen. Ich fragte: „Ihr wollt mich wirklich in ein Flugzeug setzen und über den Atlantik schicken?“ Ich hatte damals nicht einmal einen Reisepass! Ich bin niemals zuvor geflogen. Meine größte Reise bis dahin ging nach New Jersey. Jede Ausrede, mit der ich versuchte zu kommen, entkräfteten sie. Ich sagte schließlich okay. Als wir am Flughafen ankamen, war der erste Mensch, der mir begegnete, Buzz Aldrin, der zweite Mann am Mond. Ich dachte mir: „Wow, nicht schlecht!“ Die Zeit in Wien waren für Judy und mich magische drei, vier Tage. Alle diese bekannten Persönlichkeiten aus nächster Nähe zu erleben, die so nett zu uns waren, das war ein unglaubliches Erlebnis, das wir niemals vergessen.
Für all diese Menschen sind Sie ein Held.
Als der 11. September über New York hereinbrach, war ich bereits 22 Jahre im New Yorker Fire Department. Ich habe jahrelang versucht, das zu verstehen, aber mein ganzes Leben schien auf diesen einen Tag hinzuführen. Wie werde ich reagieren in diesem Moment, in dem es um Leben und Tod geht, wo ich verantwortlich für das Überleben meiner Leute und anderer Menschen bin? Alles, was ich in meiner Karriere gelernt hatte, führte zu diesem einen Tag, zu diesem Moment. Das Fire Department engagiert keine Helden, es engagiert Menschen und macht sie zu Helden. Kurz nach 9/11 leitete ich die Bekämpfung eines kleinen Feuers in Manhattan, ein Küchenbrand, doch vor dem Haus bildete sich eine Traube von Menschen. Als der Brand gelöscht war und die Feuerwehrleute aus dem Haus kamen, begannen rund hundert Leute zu klatschen. Ein junger Feuerwehrmann kam zu mir und fragte: „Chief, was geht hier vor, warum klatschen sie?“ Ich lächelte und sagte: „Sie haben erkannt, was du für deinen Lebensunterhalt tust, in welche Gefahren du dich begibst, um sie zu schützen.“ Der 11. September war die größte Rettungsaktion in der Geschichte Amerikas, mit einem Unterschied: Dass es die meisten, die daran teilnahmen, nicht überlebten.
Was passierte seither in Ihrem Leben?
Ich wurde fünf Tage nach 9/11 befördert. Nicht dafür, dass ich überlebte, sondern weil ich schon längere Zeit auf der Battalion’s-Chief-Liste gestanden und alle Tests ausgezeichnet bestanden hatte. Die erste Zeit musste ich mich an die neuen Aufgaben, die neue Verantwortung gewöhnen, vor allem aber musste ich damit umgehen, dass ich 9/11 überlebt hatte. Da wir damit rechneten, dass es weitere Anschläge geben wird, und viele Feuerwehrleute nach den Attacken Angst hatten, in ein Hochhaus zu gehen, sagten sie mir: „Wenn du zurückkommst und in ein Gebäude gehst, dann wissen sie, dass auch sie reingehen können.“ 2007 wurde ich zum Deputy Chief ernannt. Mir wurde die ganze Bronx übertragen und der Nordteil Manhattans, für die ich heute verantwortlich bin.
Ihre Kinder sind heute zwischen 21 und 30 Jahre alt. Wann realisierten sie, dass ihr Vater ein amerikanischer Held ist?
Zu Hause bin ich kein Held, ich bin einfach Dad. Ich mache das, was Väter so tun. Ich kümmere mich um den Garten, um das Haus und ich versuche, ein guter Vater zu sein. Wenn mich jemand zu 9/11 fragt, setze ich mich gerne hin und schildere das, was wir erlebt haben. Das ist Teil meiner Pflicht als Überlebender.