Die Bronx, der nördlichste Stadtbezirk New Yorks. Das rote Backsteinhaus an der Webster Avenue wirkt unscheinbar, nur die überdimensionalen Garagentore deuten darauf hin, dass dahinter große Fahrzeuge geparkt werden. Es ist eine Station der New Yorker Feuerwehr, Engine 43, Ladder 56, Division 7, mit einem Dutzend Fire-fighters, die hier rund um die Uhr ihren Dienst tun. An den Wänden im Erdgeschoß hängen dunkelblaue Einsatzanzüge mit leuchtendgelben Streifen, fein säuberlich in durchsichtige Plastikfolie verpackt. Daneben stehen Einsatzgeräte, bereit für den nächsten Notfall. Auf der gegenüberliegenden Wand, in einen braunen Rahmen, hängt ein Bild, das 343 kleine Porträtfotos zeigt. Darüber steht nur ein einziger Satz: „Our Brothers Will Never Be Forgotten“ („Wir werden unsere Brüder nie vergessen“). Es sind die Bilder jener Feuerwehrleute, die am 11. September 2001 ihr Leben verloren haben. Jedes Bild erzählt seine eigene Geschichte. Eine Geschichte von Heldenmut und Tapferkeit.
Ein amerikanischer Held. Einen Stock höher, in einem dunkelbraunen Ledersessel, sitzt Deputy Chief Jay Jonas und erinnert sich an den Tag zurück, der nicht nur sein, sondern das Leben aller Menschen für immer verändern sollte. Jonas ist kein gewöhnlicher Feuerwehrmann, er ist ein amerikanischer Held. Er rettete mit seiner Einheit das Leben einer Frau im Stiegenhaus B des Nordturmes, als dieser über ihnen einstürzte. Sie überlebten, während über und unter ihnen alles zerstört wurde. Es war eines jener Wunder an einem Tag, der sonst nur Trauer, Angst, Verzweiflung und den Tod bringen sollte.
Jay Jonas’ Geschichte. Jonas nimmt einen großen Schluck Kaffee. Er ist heute für die Bronx und den Nordteil Manhattans verantwortlich, hat über 40 Feuerwehreinheiten unter seinem Kommando. Wie oft er seine Geschichte bereits erzählt hat, daran kann er sich beim besten Willen nicht erinnern. Ein paar hundert, wahrscheinlich sogar ein paar tausend Mal. Es ist seine Geschichte und gleichzeitig die Geschichte New Yorks, einer Stadt, deren Werte, deren Stolz und Lebensgefühl mit einem feigen Angriff zerstört werden sollte, doch die aus den Anschlägen des 11. September zu neuer Stärke fand.
Der 11. September 2001, 7 Uhr Früh. Können Sie sich noch an den Morgen erinnern, bevor die Apokalypse begann?
Es war eine stürmische Nacht. Wir hatten aufgrund des Wetters etliche Notfälle, doch als der Morgen anbrach, war der Sturm vorbei. Es war ein wundervoller Morgen. Ich bereitete mich auf den Tag vor, putzte die Zähne, rasierte mich, prüfte, ob meine Uniform gut sitzt. Um 8.43 Uhr hörten wir den Lärm der ersten Maschine, wie sie in geringer Höhe über New York flog. Dann folgte die Explosion, als sie in den Nordturm des World Trade Centers krachte.
Als Sie den Einschlag hörten, wussten Sie sofort, dass das kein normaler Unfall war?
Der Lärm war unglaublich stark. Ich wusste zunächst nicht, was passierte. In unserer Feuerwache nahe der Manhattan Bridge war es so laut, dass man glaubte, ein Truck fährt gegen das Tor. Ein Feuerwehrmann vor unserer Wache rief den diensthabenden Offizier an, der schrie ins Funkgerät, dass ein Flugzeug ins World Trade Center gekracht war. Ich rannte aus der Feuerwache und sah diese große Rauchsäule, die begann, den ganzen Himmel zu erfüllen. Wir sprangen in unsere Anzüge und fuhren los, Ladder 6 und Engine 9 (die Bezeichnungen der Einsatzfahrzeuge: Ladder hat eine ausfahrbare Leiter, Engine ist ein Löschwagen, Anm.). Unsere Feuerwache war rund eine Meile nordöstlich des World Trade Centers. Je näher wir zu den Towers kamen, desto mehr mussten wir unsere Fahrt verlangsamen. Uns kamen Trauben von Menschen entgegen, die versuchten von den Gebäuden zu flüchten. Wir parkten unser Löschfahrzeug bei der Vesey Street und begannen unser Equipment abzuladen. Plötzlich fielen Teile des Gebäudes aus großer Höhe herab und krachten auf unseren Truck. Wir stellten uns sofort unter die Fußgängerbrücke, die das World Trade Center mit dem Financial Center verband, um nicht getroffen zu werden. Wir sahen nach oben, ob etwas hinabfällt, ich sah zu meinen Männern und sagte: „Ready? Set? Go!“ Wir liefen zum Haupteingang des World Trade Centers. Davor lagen zwei schwerst verbrannte Menschen. Sie hatten sich im Aufzug befunden, als das Flugzeug einschlug. Das Kerosin und die Dampfwolken waren den Aufzugschacht hinuntergeschossen und hatten sie verbrannt. Ich musste eine Entscheidung treffen: Versorgen wir die beiden oder gehen wir weiter nach oben, um vielleicht hundert Menschen zu retten?
Sie gingen weiter?
Ja, nachdem ich sah, wie sich uns Sanitäter im Laufschritt näherten. Jeder Wolkenkratzer in New York hat eine Feuerleitstelle, von der aus man mit allen Aufzügen eine Sprechverbindung herstellen kann. Bei einem Feuer in einem Hochhaus ist es der ideale Platz, um einen Befehlsstand einzurichten. Wir taten dies und warteten auf Befehle des Chiefs, da hörten wir eine weitere laute Explosion. Ich sah aus dem Fenster und sah brennende Teile der Fassade auf den Boden fallen. Wir wussten nicht, was geschehen war. Bis ein Mann rief: „Ein weiteres Flugzeug hat den Südturm getroffen!“
War Ihnen in diesem Moment klar, dass es ein Terrorangriff sein musste?
Nachdem das zweite Flugzeug einschlug, war es uns klar. Der erste Einschlag hätte noch ein schrecklicher Unfall sein können, der zweite nicht mehr. Wir waren im Krieg, wussten aber nicht einmal, mit wem. Ich war der erste Feuerwehroffizier, der nach dem Einschlag des zweiten Flugzeugs seine Befehle bekam. Peter Hayden leitete als Chief den Einsatz. Er schloss seine Augen und sagte: „Nimm deine Jungs und geht nach oben, sucht nach Überlebenden und tut, was ihr könnt.“ Ich erwartete, dass er mich in den Südturm schickt, doch er wollte, dass ich im Nordturm bleibe und dort den Opfern zu helfen versuche. Also gingen wir zum Treppenaufgang B und begannen unseren Aufstieg.
Wie viele Feuerwehrleute hatten Sie unter Ihrem Kommando?
Fünf Leute. Der Jüngste von ihnen, Sal D’Agostino, drehte sich zu mir und sagte: „Hey, Captain, ich frage mich wo die Air Force war.“ Ich war bei Tausenden Bränden in meiner Karriere im Einsatz, aber als er das sagte, war ich sprachlos. Stiegenhäuser in solchen Gebäuden sind relativ eng, es können gerade zwei Menschen nebeneinanderstehen. Uns kamen eine Reihe von Zivilisten von oben entgegen, die nach unten drängten. Jeder der Türme hatte 99 Aufzüge. Der gesamte Verkehr spielte sich nun nur mehr in drei engen Stiegenhäusern ab.